Die Weiblichkeit Gottes

Sie sind klein. Wir können sie nicht sehen. Und trotzdem bestimmen sie unser Leben. Hormone. Über die Hälfte der Bevölkerung der Erde ist weiblich. Dennoch scheint es, dass man über die Tiefsee mehr weiß als über die Abläufe im weiblichen Körper. Immerhin wissen wir, wie der Zyklus einer Frau funktioniert – zumindest, wenn es rund läuft. Über die Wechselwirkungen mit anderen Hormonen wissen wir längst nicht alles.

Ich könnte mich darüber aufregen. Tue ich auch. Vor allem einmal im Monat. Weil es mich wütend macht, dass Frauen in der Forschung immer noch übersehen werden. Wir sind nicht wichtig genug. Und das färbt ab. Wir wachsen mit diesem Glaubenssatz auf: Ist nicht so wichtig. Regelschmerzen? Da müssen wir durch. Die Brüste tun weh beim Sport alle paar Wochen? Das ist halt so. Die Geburt eines Kindes beschert uns eine Wochenbettdepression? Lasst uns nicht drüber reden; geht schon wieder weg. Die Wechseljahre schaukeln uns durch? Kann nicht sein, andere haben auch nichts von gemerkt.

Unwichtig. Unwichtig. Unwichtig.

Weibliche und männliche Gefühle?

Ich musste mir jetzt fix eine Zwischenüberschrift einfallen lassen, weil es hier sonst von Schimpfwörtern gehagelt hätte. Obwohl: Warum sollten wir nicht schimpfen dürfen? In der Bibel wird teilweise richtig rumgemotzt. In den Klageliedern etwa. Und Jesus konnte auch sehr klar sagen, was ihm passt und was nicht. Besonders, wenn man seine Grenzen übertritt. Warum sollte das dann nicht auch für Frauen gelten? Weil Jesus ein Mann war?

Unterschwellig schwingt es immer noch mit, dieses: Männer und Jungs sind eben so. Die raufen mehr, das ist normal, dass die schimpfen und sich prügeln. Bin ich dann keine Frau?

Ich kann gut motzen. Und ich balge mich zum Spaß mit meiner Familie. Es ist ein Ausdruck von Emotionen. Natürlich sollten sich Gefühlsausbrüche nicht über Unschuldige ergießen und andere verletzen. Auch das macht Jesus uns vor. Denn Jesus war nicht nur ein Mann, er ist auch Gott. Und Gott ist Schöpfer unserer Gefühle. Warum sollten Frauen also ihre Gefühle nach innen kehren? Oder nur die nach außen lassen, die von anderen als „weiblich“ definiert werden?

Wie wir Gefühle zeigen – unabhängig vom Geschlecht – hängt von unserer Persönlichkeit ab, aber auch von unserem Stresslevel und den Hormonen. Frauen reagieren je nach Zykluslage entspannter oder gestresster. Besonders in den Wechseljahren, der zweiten Pubertät, in der wir nochmal neu „umgebaut“ werden, wird es spannend. Doch auch danach sind wir keine hormonfreien Wesen ohne Kraftausdrücke.

Göttliches Spiegelbild

Nicht wenige Frauen entdecken in der dritten Lebensphase eine neue Berufung. Wenn die Kinder flügge werden und die Beziehung zum Mann gefestigt oder hinterfragt wird, verändert sich auch oft unser Hormonhaushalt und damit unsere Einstellung zum Leben. Einige spüren diesen Umbau auch erst Jahrzehnte später, wenn es um Osteoporose und andere Alterserkrankungen geht, bei denen Hormone eine wichtige Rolle spielen. Ich bin kein Arzt und die Forschung lernt noch viel, aber was fehlende Hormone mit uns machen, ist faszinierend.

Eigentlich können wir uns eine ganz andere Antwort auf die Frage geben, die wir uns stellen, wenn wir morgens in den Spiegel sehen und denken: Wer ist diese Fremde? Die mit den Falten unter den Augen bis zu den Ohren? Die mit dem hängenden Kinn, in dem sich tiefe Mundfalten eingegraben haben? Die mit den von schweren Lidern begrabenen Augen? Manchmal schaue ich mich morgens an, und denke: Wo ist diese Frau Ende Zwanzig geblieben? Mit dem wachen Blick und den glänzenden Wangen, auf denen der Kissenabdruck nicht bis nach dem Frühstück noch sichtbar in die Haut geprägt ist?

Die Antwort ist: Diese Frau war und ist und bleibt göttlich. Sie ist es als Teenager, wenn sie zur Frau erwacht. Sie ist es als junge Frau, die sich erst finden muss. Sie ist es als Mutter, die sich mit schmerzenden Brüsten die Nacht um die Ohren schlägt. Sie ist es in der Mitte ihres Lebens, in der ihr Hormonhaushalt wieder umgebaut wird und Potenzial für Neues entsteht. Sie ist es als Großmutter, die schneller müde wird als früher. Sie ist es als alte Frau, deren Körper jeden Tag zwickt, und die sich wegen der vielen Erinnerungen fragt: Wie schnell ist das eigentlich vergangen, dieses Leben?

Zur Schöpferin werden

Wenn es stimmt, dass Gott den Menschen zu seinem Bilde geschaffen hat, dann ist jede Frau ein Spiegelbild Gottes. Auch wenn dieses Bild uns vielleicht nicht gefällt: Gott fand, dass es gut war. Gott findet immer noch, dass es gut ist. Gott liebt seine Schöpfung. Und wenn Gott seine Schöpfung liebt, hat er auch diese faszinierenden und gleichzeitig nervigen Bausteine namens Hormone erfunden.

Hormone führen uns über unser ganzes Leben hinweg immer wieder vor Augen, was Leben ist: Ein Wandel. Nie bleibt etwas lange, wie es ist.

Das ist nicht immer schön. Besonders wenn er von außen kommt und unser Leben verändert, ohne dass wir es wollen, wird es anstrengend. Zumindest solange wir uns dagegen wehren. Deshalb frage ich mich bei Veränderungen: Kann ich etwas daran ändern? Oder springe ich auf den Zug auf?

Bei hormonellen Veränderungen haben wir oft keine Wahl. Das passiert einfach. Wir haben aber die Wahl, wie wir damit umgehen. Wir können das doof finden und darüber trauern, wie es früher war. Wir können aber auch empört darüber sein und die Wut als Energie nutzen und uns sagen: Da mache ich jetzt was draus! Um nur zwei Richtungen zu nennen – es gibt noch mehr. Denn innerhalb des Hormonrahmens können wir trotzdem immer selbst bestimmen, wie unser Leben sich gestaltet.

Die Sau rauslassen

Da könnte jetzt auch stehen: Die Frau rauslassen. Leider sind viele Schimpfwörter weiblich. Und genau damit sollten wir aufhören. Wir sollten aufhören zu glauben, dass wir wertlos sind.

Wir sind wichtig. Wir sind sehr wichtig. Wir sind extrem wichtig.

Ohne Frauen kein Leben. Wer weiß das besser als unser Schöpfer? Statt uns deswegen zu grämen oder zu schämen, sollten wir es ihm nachtun: Wir sollten unser von Gott gegebenen Potential entfalten. Die Wucht der Emotionen nutzen, die Hormone mitbringen.

Dann sitzen wir halt in der Öffentlichkeit und weinen ohne ersichtlichen Grund. Dann kommen die Emotionen der letzten Wochen eben raus, die sich angestaut haben. Dann weinen und klagen wir über diese Welt, die immer mehr zerstört wird von denen, die sich eigentlich liebevoll um sie kümmern sollten. Dann zeigen wir, wie das geht: Weinen, schreien und sagen, was scheiße ist. Und sich danach entschuldigen, falls wir zu weit gegangen sind. In anderen hormonellen Phasen können wir dann auch enthemmt lachen und tanzen und Witze reißen. Gott lacht bestimmt mit. Denn das ist der Trost bei allem: Dass Gott in allem Wandel immer derselbe bleibt.

Vielleicht entfalten wir auch nicht nur im Alltag unser Potential? Vielleicht entdecken wir auf diese Weise auch Seiten an uns, die wir noch nicht kannten?

Ich bin zum Beispiel nach dem Suizid meines Mannes Bildhauerin geworden. Wer hätte das gedacht? Eigentlich bin ich gelernte Journalistin und psychologische Beraterin. Ich liebe es, Menschen zu verstehen und miteinander zu verbinden. Doch genau deshalb bin ich Bildhauerin geworden. Ich bilde Menschen und ihre Geschichten ab, bevorzugt Frauen. Damit jeder, der diese Plastiken und Skulpturen sieht, sie wahrnehmen und fühlen kann. Die Weiblichkeit Gottes. Weil sie wichtig ist.

Nic Schaatsbergen

Dieser Text ist in der Zeitschrift „Miteinander unterwegs“, Ausgabe 6/2021 erschienen. 

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