Blattwenden fragt: Kerstin König von „Vergiss Mein Nie“

Foto: ©Vergiss Mein Nie / Ilona Habben

„Lass dir nicht von anderen reinreden und entscheide selbst, was gut für dich ist“

Kerstin (Jahrgang 1974) aus Hamburg hatte schon mehrere lebensverändernde Einschnitte in ihrem Leben. Daraus hat sie gelernt, dass es immer weitergeht – und das eigentlich immer besser als vorher.

Beruflich hat sie mit den Themen Sterben, Tod und Trauer durch ihre Arbeit bei „Vergiss Mein Nie“ (https://www.vergiss-mein-nie.de/) zu tun. Dort werden Trauernde mit Beratung und Coaching unterstützt, sie bieten Trauergeschenke an und bilden kreative TrauerbegleiterInnen aus.

Nebenberuflich berät Kerstin Frauen und arbeitet als Audiobiografin beim Familienhörbuch mit, einem Projekt, das Eltern mit unheilbaren, lebensverkürzenden Krankheiten ermöglicht, für ihre Kinder ein Hörbuch aufzunehmen. Dieses kann die Kleinen auch über den Tod ihrer Eltern hinaus begleiten: https://familienhoerbuch.de/

Worüber warst du in letzter Zeit traurig?

Über diese gesellschaftliche Spaltung, die Corona ausgelöst hat – und ganz aktuell natürlich den Krieg in der Ukraine und die noch gar nicht absehbaren Folgen.

Wie macht sich Trauer bei dir bemerkbar? Wie fühlt sie sich an?

Dunkel und dumpf, ein Steckenbleiben auf freier Strecke, allein, bei sehr schlechter Sicht.

Wenn Trauer ein Tier oder eine Farbe wäre, wie würdest du es oder sie beschreiben?

Eine dicke Würgeschlange. Wenn man sich mit ihr genauer beschäftigt, kann sie faszinierend, schön, aber eben auch lebensgefährlich zugleich sein.

Fast jeder kennt Abschiedsmomente: Wovon musstest du dich verabschieden?

Von mehreren Lebensplänen, die eigentlich gesetzt und gefühlt sicher waren; von verschiedenen „Zukünften“, die dann doch nie Wirklichkeit wurden. Zum Beispiel von einer lange lebensbestimmenden Arbeit, von der ich dachte, ich würde sie bis zur Rente machen, und dann war nach fast 19 Jahren Schluss, weil der Job und ich uns auseinanderentwickelten; mehrere langjährige Partnerschaften und natürlich auch von Menschen, die ich im Laufe des Lebens verloren habe.


Wie hat sich durch den Abschied dein Lebensblatt geändert? Was ist heute anders als vorher?

Es wurde immer besser, als ich mir das je vorgestellt oder gewünscht hatte. Als die Wege, die ich eingeschlagen hatte, nicht mehr begehbar waren, zeigten sich neue, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte.

Was hat dir beim Trauern besonders geholfen?

Dieses innere Wissen, dass es weitergeht und besser wird.

Was ist für dich ein absolutes No-Go im Bereich Trauern?

Schlaue Ratschläge und übergriffige Menschen, die zu wissen meinen, was ich jetzt machen soll.

Was war das Grauenvollste in deiner Trauerreise?

Festzuhängen und nicht weiter zu wissen, ausgeliefert zu sein und gefühlt nichts machen zu können.


Was hilft dir beim Innehalten und Ausruhen?

Rückzug, mit mir allein sein. Oder auch mit meinem Mann zusammen zu sein, das geht meistens auch. Tendenziell aber eher Rückzug mit und zu mir selbst.

Wie hast du dich wieder geerdet, dein Leben neu ausgerichtet?

Ruhe, Rückzug, „Kassensturz“, Ressourcenpflege; und dann habe ich Entscheidungen getroffen und bin losgegangen, Schritt für Schritt.

Woran hast du gemerkt, dass dein Leben jetzt wieder grünt?

Als es mir insgesamt wieder besser ging, ich wieder in meine Kraft kam und mein inneres Wissen, dass es gut werden wird, zurück war.


Hilft dir der Glaube bei Abschiedsmomenten? Wenn ja, wie?

Ich bin nicht religiös, glaube aber daran, dass alles schon einen Sinn haben wird.

Findest du Trost in der Natur? Wenn ja, wo am meisten?

Am Meer, der Blick in die Weite, umtost vom Wind.

Nutzt du Kreativität, um Belastendes zu verarbeiten? Wenn ja, wie machst du das?

Oh, das kommt auf die Situation an… Spontan würde ich sagen, kreatives Schreiben und systemische Methoden helfen mir ganz gut.


Welches Buch kannst du empfehlen, wenn es um Abschied und Neubeginn geht?

Bei Trauer finde ich Chris Pauls „Ich lebe mit deiner Trauer“ bzw. „Ich lebe mit meiner Trauer“ hilfreich, für Kinder auch Ayse Bosses „Weil Du mir so fehlst“. Wenn es ums grundsätzliche Orientieren geht, könnte auch ein Buch von Allan und Barbara Pease gute Impulse geben: „Wie Du kriegst, was Du brauchst, wenn Du weißt, was Du willst“ – ist zwar etwas sehr „amerikanisch“ geschrieben, ich fand es trotzdem inspirierend, als ich festhing.

Was ist dein persönlicher heißer Tipp für andere beim „Blattwenden“ in Umbruchphasen?

Höre auf deine innere Stimme. Die Antwort ist in dir. Lass dir nicht von anderen reinreden und entscheide selbst, was gut für dich ist. Und orientiere dich an Menschen, die schon geschafft haben, was du gerne willst.

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