Trauer ist … wenn man den Käse zurück in den Kühlschrank legt.

Weil die Scheiben zusammenkleben und beim Versuch, sie zu trennen, auseinanderbröckeln.

Das an sich ist ärgerlich, nervig, aber letztlich kein Drama. Aber wenn man dann ohne groß nachzudenken seinen Kater ruft, weil der Käse so liebt und sich sicher über ein paar abgebröckelte Ecken freuen würde, dann ist das ein Drama. Dann fließen die Tränen.

Weil besagter Kater zwei Tage zuvor vollkommen überraschend eingeschläfert werden musste. Weil dieser bröcklige Käse mit einem Mal eine Trauerwelle lostritt, mit der man nicht gerechnet hat.

Morgens, als man ins heimische Büro ging, da hatte man mit Trauer gerechnet. Weil man sich den Arbeitsplatz seit einigen Wochen geteilt hat: Man – oder besser gesagt: ich – saß am Schreibtisch und habe gearbeitet, er – unser Kater Larry, Weggefährte seit über 13 Jahren – hat es sich auf seinem Kissen gemütlich gemacht.

Nach Jahren als Freigänger ist er vor ein paar Monaten zum Stubentiger geworden – und in dem Zuge dann irgendwie auch zum Büro-Mitnutzer. Nach Jahren, in denen ich immer allein gearbeitet habe, hatte ich endlich Gesellschaft: den besten Kollegen der Welt!

Als ich nun morgens den Raum betrat, war ich auf alles gefasst. Aber es ging. Bis zur Mittagspause, als ich mir ein Käsebrot machen wollte.

Das Ende vom Lied war, dass ich mit tierischen heulbedingten Kopfschmerzen zurück ins Büro ging. Es gab letztlich mittags zwar doch ein Käsebrot, allerdings belegt mit einem anderen, nicht bröckelnden Käse belegt. Denn letzteren konnte ich einfach nicht essen.

Wie so oft habe ich am Schreibtisch gegessen. Und wieder Tränen, weil der Schnorrer fehlte: Larry hätte mich nie im Leben in Ruhe und ohne zu betteln dieses Käsebrot essen lassen. Er wäre aufgestanden und hätte versucht, irgendwie in die Nähe des Brotes zu gelangen.

Das endete meist damit, dass er mit dem Hinterbeinen auf dem Schreibtisch stand und mit den Vorderbeinen auf meinem Oberschenkel – der Abstand so weit, dass er sich weder traute, die Hinterbeine nachzuziehen, noch mit den Vorderbeinen zurück auf den Schreibtisch zu gehen. Es war zum Schreien komisch!

Trauer ist ein Arsch! Das ist meine Meinung. Weil sie einen in den unerwartetsten Momenten eiskalt erwischt. Einfach so aus dem Hinterhalt schleicht sie sich an. Heimlich, still und leise. Und dann: buh!

Dienstag mussten wir die schwere Entscheidung treffen, Larry gehen zu lassen. Alles musste schnell gehen. Es gab keine wirkliche Möglichkeit, noch in aller Ruhe Abschied zu nehmen – lebend.

Umso dankbarer bin ich für den Abschied danach, als mein Mann ihn von der Tierklinik wieder mit nach Hause brachte. Wir konnten ihn noch mal ansehen, ihn streicheln, uns verabschieden, gemeinsam weinen, Erinnerungen teilen. Das war für uns alle wichtig, auch wenn es gleichzeitig unglaublich schmerzhaft war.

Indem wir ihn streichelten, konnten wir begreifen, was passiert ist. Dass sich unser Leben verändert hatte. Denn Larry war nicht „nur ein Tier“. Er war ein Familienmitglied, ein Seelentröster, ein Freund. Mein Lieblingskollege.

Ja, oft auch eine Stolperfalle, Maunzer und Schnorrer. Aber eben auch unser Kuschelkater, der vor wenigen Wochen entdeckt hat, dass er Chips genauso gerne mag wie wir.

Was uns gutgetan hat, war, ihn zu beerdigen. Wir haben uns gefragt, was ihm wohl gefallen würde. Schnell war klar: Das wäre keine schöne neue Box, sondern einer der Bananenkartons, die im Keller stehen. Eine, die – wie er – schon so manchen Umzug hinter sich hat. Aus Pappe, denn Larry hat Pappe geliebt!

Und er soll es kuschelig haben, also haben wir zwei Decken rausgesucht: eine, die ich schon als Baby hatte, und eine von unserer Tochter.

Dann Katzenminze – direkt in dreifacher Ausführung: in einem Kissen, in einem Kuscheltier und frisch aus dem Garten.

Begraben haben wir ihn dann im Garten. Als Grabbepfanzung haben wir Katzenminze besorgt – die hatte der Blumenladen zum Glück noch in den hintersten Winkeln hinter den Tannenbäumen finden können.

Trauer ist ein Arsch. Das ist mir wieder ganz neu klar geworden. Aber es ist wichtig, ihr nicht auszuweichen (klappt eh nicht!), sondern sich ihr zu stellen. Und wenn man dann losheult oder einfach nur müde ist, dann ist das halt so.

Ich merke, dass ich mir diese Zeit ganz bewusst nehmen will. Auch wenn es „nur“ ein Tier ist, um den es geht. Aber für mich war er mehr. Ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die das verstehen; die Anteil nehmen …

Momentan stecke ich selbst noch im Trauerloch drin. Noch holt mich das Grauen immer wieder ein, z. B. wenn ich die Rechnung für die Tierklinik überweise. Oder bröckligen Käse sehe. Und vermutlich auch heute Abend, wenn wir Ninja Warrior im TV sehen und Chips essen und ich meine Portion nicht vor einem chipsgeilen Kater schützen muss. Aber ich gönne mir die Ruhe, die es braucht, und dann wird es irgendwann leichter. Anders, das ganz sicher, aber bestimmt auch wieder gut.

Trauer ist ein Arsch – da ist es eigentlich ganz egal, worum man trauert: verpasste Möglichkeiten, ein Tier, einen Menschen … Larrys Tod hat mir noch mal neu vor Augen geführt, worum es mir bei meiner Arbeit bei Blattwenden geht – Menschen nicht alleine lassen, wenn sie mit Situationen konfrontiert sind, die sie heraus- oder sogar überfordern. Denn gemeinsam geht (fast) alles leichter!

Nicole Sturm

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