Von Freude, Schuldgefühlen und hinkenden Vergleichen
Darf ich mich über das Neue freuen, während ich dem Alten noch hinterherweine? Diese Frage hat mich in den letzten Wochen bewegt. Das Neue, das sind die beiden Katzenjungen Olaf und Knubbel. Sie wohnen seit einigen Wochen bei uns. Das Alte, das ist Larry, unser Kater. Er hat dreizehn Jahre mit uns das Leben geteilt, bis wir ihn ganz überraschend Ende letzten Jahres einschläfern lassen mussten.
Olaf und Knubbel sind zwei Chaoten – und dabei zuckersüß. Im einen Moment sorgen sie dafür, dass meine Nerven blankliegen, nur um im nächsten mein Herz zum Schmelzen zu bringen. Sie tun mir und uns als Familie gut; sie haben uns nach Larrys Tod getröstet, abgelenkt und die so abrupt ruhig gewordene Bude mit neuem Leben gefüllt. Wir sind unglaublich glücklich und dankbar, sie bei uns zu haben!
Aber dann, während ich sie kuschele, frage ich mich, ob das so sein darf. Darf ich mich von Herzen über sie freuen? Verrate ich dadurch nicht ein Stück weit Larry? Ihn, den ich so geliebt habe und den ich auch jetzt, Monate nach seinem Tod, noch immer vermisse?
Diese Frage macht mein Herz schwer und wirbelt zig weitere Fragen auf. Etwa, ob ich dadurch, dass ich Freunde und Verwandte mit Bildern von Olaf und Knubbel geradezu bombardiere, eventuell signalisiere, dass ich Larry schon vergessen habe. Ich frage mich, wie viele Bilder ich damals von Larry über WhatsApp geteilt habe, als er gerade zu uns gekommen war. Die ernüchternde Antwort: kein einziges. Bäm, Schuldgefühle!
Dann der Gedanke: Ich vergleiche Äpfel mit Birnen. Vor dreizehn Jahren hatte ich weder ein Smartphone, noch WhatsApp. Fotos habe ich auch nicht mit dem Handy geschossen, das ich quasi immer dabei habe, sondern noch ganz klassisch mit einem Fotoapparat, der nicht immer zur Hand war.
Äpfel und Birnen. Mein Verstand sagt mir, dass ich das eine nicht mit dem anderen vergleichen kann, mein Herz versucht es trotzdem. Hinkende Vergleiche. Keine tatsächliche Schuld, aber dennoch miese Schuldgefühle. Ich bin von mir selbst genervt und kann doch zeitweise nicht aus meiner Haut.
Wenn dann noch Tochterherz wissen will, ob Larry, als er klein war, bestimmte Sachen genauso gemacht hat wie Olaf und Knubbel, kommen noch weitere Schuldgefühle dazu. Weil ich es nicht mehr weiß!
Vermutlich hätte ich es schon vor seinem Tod nicht sagen können, so fühlt es sich aber so an, als würden die Erinnerungen durch seinen Tod verblassen. Oder durch neue Erlebnisse mit Olaf und Knubbel überschrieben. So oder so, es fühl sich schlecht an. Ich fühle mich schuldig, obwohl ich glaube, dass ich die Antwort darauf auch vor seinem Tod nicht gewusst hätte. Mein Nichterinnernkönnen fühlt sich wie Verrat an.
Diese blöden Schuldgefühle, diese doofen Quatschis in meinem Kopf!
Wäre es nach Larry und mir gegangen, hätten wir gemeinsam ins Gras gebissen – irgendwann, vielleicht in fünfzig Jahren oder so. Aber das Leben hatte andere Pläne. Daran kann ich nichts ändern.
Was ich aber tun kann: mir nicht von falschen Schuldgefühlen die Freude am Jetzt nehmen lassen. Ich darf beides: Dankbar sein für das, was war, und genießen, was das Leben mir in diesem Augenblick zu bieten hat.
Und das ist jetzt gerade ein neben mir auf dem Schreibtisch liegender und süß vor sich hindösender Katzenjunge namens Olaf.
Nicole Sturm