Ein Gastbeitrag von Marcus:
Viele Menschen, die Suizidgedanken haben, scheinen sich in dunklen Phasen zu befinden. Bei mir war das nicht so. Es war eher ein permanentes Grundrauschen, eine Lebenseinstellung:
Suizidgedanken als Beruhigung
Es begann in meiner Jugend Anfang der Achtzigerjahre, so mit sechzehn Jahren, und verdichtete sich langsam bis 2012. Es war der Wunsch zu sterben und die Gewissheit, jederzeit die Kontrolle über diesen Moment zu haben. Es war ein eher beruhigendes, tröstendes Gefühl – kein dunkles. Gerade wenn ich wütend oder enttäuscht war, war es auch eine greifbare Option um zur Ruhe zu kommen. Der Wunsch nach Ruhe stand aber erst später immer im Vordergrund, in meiner Jugend wollte ich wohl eher andere damit bestrafen.
Dabei gab es keine wirkliche Ursache. Nichts wirklich Greifbares. Kein Missbrauch, keine Trennung, kein Verlust.
Ich bin getauft worden, mehr oder weniger katholisch aufgewachsen, hatte gute Erfahrungen mit Militärpfarrern und der Gemeinschaft. Mein Vater war Berufssoldat, die Bundeswehr damals aktiv bei Messdienertreffen, ich machte Urlaube mit dem Bundeswehrsozialwerk. Als Jugendlicher war ich nur wenig aufmüpfig, ein passabler Schüler, und hatte einen guten Freundeskreis ohne übermäßigen Drogenkonsum. Ich war – und bin es heute noch – Metal & Punk-Fan.
Ausstieg aus einer sinnlosen Welt
Irgendwann fing ich aber angesichts der Ungerechtigkeit in der Welt an, Gott und seine Wege zu hinterfragen. Ich kam zu dem Schluss, dass Gott nicht gut ist oder dass Gott gar nicht existiert. Ich war entsprechend atheistisch diskutierend unterwegs und trat aus der Kirche aus.
Das Resultat aus der Erkenntnis, das Gott nicht existiert ist, war, dass NICHTS einen Sinn ergibt außer dem biologischen Arterhalt – der aber ja auch in sich schon wieder sinnlos ist, wie jedwede Existenz von allem. Ob du Millionen Indianer, Juden oder nur deinen Nachbarn tötest, es hat nur geringe temporäre Auswirkungen, auf die Welt aber keine weiteren Folgen. So dachte ich.
Ein sinnloses Leben zu leben, nur um irgendwann doch zu sterben, ergibt keinen Sinn – ergo kann man es auch gleich beenden und sich die „Qualen” des Alltags ersparen. Wobei es mir wirtschaftlich immer gut ging, finde ich.
Diese Gedankenspirale verdichtete sich und ich ersann zunehmend Ausstiegsszenarien, ohne dass es mir befremdlich vorkam oder ich einen Leidensdruck hatte. Die Gedanken waren eher stark, beruhigend, (ewige) Ruhe versprechend: Neben Wut, Streit oder Enttäuschung ist es auch schön, in einem glücklichen Moment sterben zu können, etwa nach einem erfüllten Tag.
Kontrollverlustangst als Ursache
Meine Suizidgedanken waren zum Teil recht durchdacht, um möglichst effektiv mit möglichst wenig Kollateralschaden auszusteigen. Als Motorradfahrer hatte ich rückblickend und eventuell unbewusst auch eine unnötig riskante Fahrweise. Ich hatte zwei Motorradunfälle, aber dabei gab es nur Knochenbrüche. Bei dem einen kam ich ganz knapp an einer Querschnittslähmung vorbei.
Ich bin kein Fußballfan, aber als Robert Enke vom Fußballverein Hannover 96 sich 2009 das Leben genommen hat, fiel ein Schalter bei mir.
Robert wählte den sogenannten Schienensuizid, „meinen” zu dem Zeitpunkt favorisierten Tod! Daraufhin habe ich meinem Hausarzt von meinen Gedanken erzählt, denn auch bei Robert Enke gab es wohl keine äußerlichen Anzeichen der Suizidgefahr. Aber immerhin war er in Behandlung.
Doch meine Versuche, einen ambulanten Therapieplatz zu bekommen, klappten nicht wie gedacht. Es gab Wartezeiten von über einem Jahr. Wenn überhaupt. Bei Suizidgefahr schalten manche wohl direkt ab. Eine stationäre Aufnahme war wegen meiner Selbstständigkeit ausgeschlossen. Ich hatte ja auch keinen wirklichen Leidensdruck, nur das Wissen, dass meine Gedankengänge nicht normal sind – obwohl sie es für mich waren.
Kontrolle bei Gott abgeben
Mit der Diagnose fand ich aber erste Ansatzpunkte. Ich begann, mich mit Entspannungsübungen und auch wieder mit dem Thema Glauben zu beschäftigen. Eher allgemein: mit Buddhismus, Bahai – klasse Konzept –, etwas Islam, Christentum. Am schlüssigsten war für mich das Christentum, darauf einlassen wollte ich mich aber nicht. Gemeinden besuche ich auch nicht, denn mit kirchlichen Strukturen habe ich nach wie vor ein Problem.
Damals, etwa Mitte 2011, rief der „Pommesprediger“ Michael Zielke aus Verden bei mir an. Ich war Herausgeber eines regionalen Motorradmagazins und als Betreiber einer „Evangelistischen Pommesbude“ hatte Michael die „Eingebung”, er solle bei mir Anzeigen für seine Pommesbude schalten. Kein Problem, dachte ich, Umsatz ist immer gut. Ich fuhr dann auch mehrfach mit meinem Motorrad hin und wir diskutierten über Gott und die Welt bei Currywurst und Pommes.
Irgendwann erzählte ich ihm von meinen Suizidgedanken und er meinte, ich solle mein Leben Jesus geben, der könne mich heilen. Ich fand keinen anderen Ausweg und immer noch keine Therapie und habe letztendlich gedacht: Warum nicht? Ein Jahr später, an einem schönen Sonnentag fuhr ich zu ihm, er betet mit mir und für mich und ich vertraute mein Leben Gott an. Ich gab die Kontrolle ab und schloss Frieden mit Gott.
Der abendliche Sterbewunsch beim Schlafengehen, oder genauer: die Hoffnung, nicht wieder aufzuwachen, war direkt weg!
Dankbarkeit statt Sinnlosigkeit
2014 habe ich mich mit ein paar Leuten einer Facebook-Gruppe am Bodensee getroffen. Wir trafen uns zu meiner Taufe und ich habe mich von einem freien Prediger im Bodensee Nahe Bregenz taufen lassen. So richtig mit untertauchen, der alte Mensch wird abgewaschen und der neue taucht auf. Es gab Kuchen und abends haben wir zusammen gegrillt. Das war mir ein Bedürfnis, nach den langen Jahren der Gottlosigkeit – von meiner Seite aus.
Ich werde immer noch recht schnell zornig und ereifere mich, anstatt Dinge laufen zu lassen. Kontrolle abgeben fällt mir nicht leicht, ich habe gerne für alles einen Plan. Aber ich hatte seitdem keine echten Suizidgedanken oder Planungen mehr.
Wohl aber bisweilen die Freude, dass Jesus mich abholt, wenn meine Zeit so weit ist und ich nach Hause zum himmlischen Vater gehe. Mein Leben gehört nicht mir, sondern Gott, der es mir gegeben hat und es auch beenden wird, wenn die Zeit so weit ist. Der Glaube, dass am Ende alles gut und gerecht wird, dass wir in ein anderes Leben weiterziehen und somit das Leben hier doch einen Sinn hat, hilft mir.
Ich bete nach dem Aufwachen und vor dem Schlafen zum Herrn. Nicht lange und nicht auf Knien oder irgendwie rituell – mehr wie im Gespräch. Nur morgens auch ein Vaterunser. Danken, Bitten, für mich oder für andere, je nachdem was anliegt. Dankbarkeit und Demut angesichts der wirklich schwierigen Leben anderer Menschen ist eh ein ganz wichtiger Punkt, der hierzulande zu kurz kommt, finde ich.
Danke
Toller Bericht!